Der Rorschacher Stadtrat lässt ein Vorprojekt für ein sogenanntes Anergienetz ausarbeiten. Damit könnten Gebäude in der Hafenstadt künftig mit See-Energie beheizt werden. Noch gibt es aber einige offene Fragen.
Der Bodensee ist nicht nur Naherholungsgebiet, Trinkwasserquelle und Lebensraum für Fische. In ihm schlummert auch ein immenses Potenzial für die Gewinnung klimafreundlicher Energie zum Heizen und Kühlen von Gebäuden. Dieses Potenzial will Rorschach nun nutzen. Der Stadtrat plant, die See-Energie über ein sogenanntes Anergienetz einer «Vielzahl von Gebäuden» zur Verfügung zu stellen, wie er schreibt.
In 20 bis 40 Metern Tiefe wird das vier bis zehn Grad warme Wasser aus dem See ans Ufer gepumpt. In einem Wärmetauscher wird dem Wasser Wärmeenergie entzogen, die an einen anderen Wasserkreislauf abgegeben wird, der zu den Gebäuden führt. Mittels Wärmepumpe wird die Temperatur in diesem zweiten Wasserkreislauf auf das nötige Niveau erwärmt. Die beiden Kreisläufe kommen nie miteinander in Berührung. Damit soll eine Kontamination des Seewassers verhindert werden. Dieses fliesst nach dem Wärmeentzug zurück in den See. (mbu)
Es wäre ein sauberer Ersatz für Öl- oder Gasheizungen. Die See-Energie sei konkurrenzfähig gegenüber anderen erneuerbaren Heizarten und für das dicht bebaute Zentrum von Rorschach eine «sehr gute Lösung». Andere Gemeinden am See wie Thal oder Steinach arbeiten an ähnlichen Projekten. Für den Rorschacher Stadtpräsidenten Robert Raths ist ein solches Anergienetz naheliegend:
«Wir haben den See direkt vor der Haustür. Es wäre verrückt, wenn wir sein Potenzial nicht nutzen würden.»
Der Stadtrat will vorwärtsmachen mit dem Projekt, noch im Herbst wird ein Ingenieurbüro aus Zürich mit der Erarbeitung des Vorprojekts starten. Mit der derzeitigen Sanierung der Hauptstrasse bietet sich gemäss Mitteilung bis auf Weiteres die letzte Möglichkeit, die Verbindung von der östlich gelegenen und potenten Fassung beim Seepark in den westlichen Teil des Zentrums zu realisieren. Raths betont:
«Die Bürgerinnen und Bürger hätten kein Verständnis dafür, wenn wir die Strasse später nochmals aufmachen würden.»
Wie viele von ihnen vom Anergienetz profitieren könnten, ist noch unklar. Das werde das Vorprojekt zeigen, sagt Michael Marti, Leiter der Technischen Betriebe Rorschach. Dann sehe man auch, in welche Richtung es technisch und wirtschaftlich gehe. Laut ihm werden wohl vor allem Gebäude im Zentrum ans Netz angeschlossen. Es sei aber durchaus denkbar, dass das Einzugsgebiet ausgeweitet werden könnte.
Gerade im Zentrum dürften der Handlungsbedarf und das Bedürfnis gross sein. Dort ist der Bau von anderen umweltfreundlichen Heizungen heute oft schwierig. Luft-Wasser-Pumpen beispielsweise machen zu viel Lärm in einem so dicht bebauten Gebiet. Und Tiefenbohrungen seien nicht überall möglich, sagt Marti. Das Anergienetz sei darum eine gute Alternative.
«Wir möchten den Liegenschaftsbesitzern eine erneuerbare Heizmöglichkeit anbieten», betont er. Marti spricht von einem einem Sorglospaket: «Wie heute beim Strom und beim Wasser würde die Stadt künftig Wärme zum Heizen direkt zu den Leuten liefern.»
Es ist nicht das erste Mal, dass Rorschach die See-Energie nutzen will. Im Jahr 1984 hatte die Stadt schon einmal ein solches Projekt aufgegleist: Für eine Million Franken baute sie eine Seewasserleitung, eine Energiezentrale mit Wärmepumpe und den ersten Teil eines Verteilnetzes für Seewärme. 3000 Einwohnerinnen und Einwohner in Seenähe hätten so mit Wärme versorgt werden sollen.
Das Projekt hatte einen Haken: Das erwärmte Seewasser war zu teuer, einzig die katholische Kirchgemeinde schloss sich den Plänen der Stadt an. Rorschach blieb auf den ungedeckten Kosten sitzen, die Anlage wurde im Jahr 2000 stillgelegt. Doch die Zeiten haben sich geändert, Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien haben heute einen grösseren Stellenwert – in Politik und Gesellschaft. Stichwort Klimakrise. Raths ist sich darum sicher:
«Das Anergienetz ist ein Bedürfnis – und es ist die Aufgabe einer Behörde, sich damit auseinanderzusetzen.»