Berührend
Redaktorinnen und Redaktoren blicken auf ihre emotionalsten Geschichten des Jahres zurück

Das Treffen mit einem betagten Suchtkranken, der Prozess gegen eine Mörderin, der Tod eines Kulturschaffenden: Unsere Redaktorinnen und Redaktoren erinnern sich an Geschichten, die sie im zu Ende gehenden Jahr besonders bewegt haben.

Redaktion
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Das Heim für Suchtkranke

Julia Nehmiz, Redaktorin Stadt St.Gallen

Julia Nehmiz.

Julia Nehmiz.

Bild: Ralph Ribi

Vielleicht habe ich Hubert Kuster zu oft besucht. Doch seine Geschichte liess mich nicht mehr los. Und ich musste oft nachfragen, nachhaken, bis wir Klarheit in seine Erinnerungen bekamen. 35 Jahre «im Milieu, nicht auf der Gasse», haben Spuren hinterlassen. Heute wohnt er in einem Spezialwohnheim, dem einzigen Altersheim in der Ostschweiz, das Suchtkranke aufnimmt. Hat dort seinen besten Freund gefunden. Es war rührend zu erleben, wie die beiden miteinander umgehen. Und wie offen die Heimleitung über Schwierigkeiten sprach. Manchmal gehen einem Geschichten einfach nahe.


Am Sommerfest des Clubs 2000 mit Patrick Stach

Renato Schatz, Redaktor Ressort Ostschweiz

Renato Schatz.

Renato Schatz.

Bild: Ralph Ribi

Ich war überrascht, dass Patrick Stach mit uns sprach. Sein Verhältnis zum «Tagblatt» ist belastet. Der Anwalt lud sogar zum Sommerfest seines Businessklubs. Als ich ankam, begrüsste mich einer, der danach nicht mehr von meiner Seite wich. Bis eine Frau zu uns stiess, die den Club 2000 anpries. Irgendwann nahm ich neben zwei Männern Platz, wollte sie interviewen. Prompt sass Stach dazu. Er, der Wochen zuvor mit seinem Sportwagen Richtung Schützenhaus in Abtwil abbog, zur familiären GV des TSV St.Otmar. Diesen trägt der Club 2000. Zwei Welten.


Die Mörderin mit dem Zopf

Ida Sandl, Reporterin Thurgauer Zeitung

Ida Sandl.

Ida Sandl.

Bild: Reto Martin

Wie kaltblütig muss man sein, um eine Tote zu zerteilen und in mehrere Müllcontainer zu werfen? Die Frau, die ihre Mieterin in Bottighofen erschossen und den Kopf im Egnacher Wald vergraben hat, wirkt nicht wie ein Monster. Sie ist gross und schlank, trägt das Haar zum braven Zopf geflochten. Ihre Sprache ist verstörend höflich. «Ich danke, dass ich mich äussern darf», sagt sie vor Gericht.

Im Laufe des Prozesses wird einiges klar, vieles bleibt im Dunkeln. Diese Frau ist aufgewachsen in einer Welt, die keine Schwäche duldet, sie wurde früh missbraucht. Eine Kriegerin, die weiter kämpft, auch wenn der Gegner am Boden liegt, dabei selbst zutiefst verwundet.


Streit in der Welt des Luxus

Thomas Griesser Kym, Teamleiter Wirtschaft Ostschweiz

Thomas Griesser Kym.

Thomas Griesser Kym.

Bild: Ralph Ribi

Eine Geschichte aus der Welt der Reichen, Streit um einen Haufen Geld und um Luxusautos, dazu ein Kampf David gegen Goliath – diese Ingredienzien machten das Gezerre um das Aston-Martin-Autohaus in Niederwil aus. Lachender Dritter im Hickhack zwischen dem englischen Hersteller der Nobelkarossen und seinen beiden Ostschweizer Autohändlern Andreas Bänziger und Florian Kamelger ist Beat Imwinkelried mit seiner B.I. Collection. Der neue Hausherr betreut weiterhin Aston-Martin-Kundschaft, präsentiert aber auch Autos anderer Luxusmarken.


Abschied von Richard Tisserand

Christina Genova, Leiterin Ostschweizer Kultur

Christina Genova.

Christina Genova.

Bild: Urs Bucher

Mitte September traf ich den Künstler und Kurator Richard Tisserand im Kunstraum Kreuzlingen. Er war an ALS erkrankt, einer unheilbaren Erkrankung des Nervensystems, und musste deshalb die Leitung des Kunstraums abgeben. Seine rasch fortschreitende Krankheit hatte ihn innert weniger Monate in den Rollstuhl gebracht. Noch immer ist es ein Tabu, über körperlichen Zerfall, über den nahen Tod zu sprechen. Richard Tisserand tat es heiter und gelassen und mit einer überwältigenden Offenheit. Damit hat er mich zutiefst bewegt. Ende November ist er gestorben.


Das Mädchen mit dem Rett-Syndrom aus Schlatt-Haslen

Selina Schmid, Redaktorin Appenzeller Zeitung

Selina Schmid.

Selina Schmid.

Bild: Andri Vöhringer

Die Familie Bortolusso schützt ihre Privatsphäre. Trotzdem erzählten mir die Eltern von der Tochter Fiora, die mit dem seltenen Rett-Syndrom lebt. Ich merkte, dass die Zurückhaltung ein Schutzmechanismus ist. Gross ist die Angst, dass schlecht über sie gesprochen wird. Sie beantworteten jede Frage mit überraschender Ehrlichkeit. Manchmal schien es mir, dass sie sich Belastendes vom Herzen reden konnten. Sie gewährten mir Einblick in einen mir unbekannten Alltag und zeigten, dass vorurteilsloses Interesse Vertrauen weckt.


Der Konditor, der bei einem Brand alles verlor

Andrea Häusler, Redaktorin

Andrea Häusler.

Andrea Häusler.

Bild: PD

Schicksalsschläge werden nie zur Gewohnheit. Manche Menschen machen es einem schwer, Berührungsängste abzubauen, andere ganz leicht. Wie Konditor Pius Diggelmann, der im April beim Brand zweier Häuser am Wattwiler Dorfplatz seine private und berufliche Existenz verloren hatte. Offen sprach er über die Folgen, seine Emotionen. Drei Monate später starb seine Frau Renate an einem Herzinfarkt. Wie viel Leid erträgt ein Mensch? Wir trafen uns erneut. Er blickte nach vorn, sprach über seine Neubaupläne. So viel Lebensmut evoziert Bewunderung.


Der Kampf um Wil West

Simon Dudle, Redaktionsleiter Wiler Zeitung und Toggenburger Tagblatt

Simon Dudle.

Simon Dudle.

Bild: Urs Bucher

Ist da innerhalb von wenigen Wochen jahrelange Vorarbeit bachab gegangen? Wil West. Der Leuchtturm der Region Wil. Bis zu 3000 neue Arbeitsplätze sind geplant. Ein grosser Wurf. Lange wurden die Pläne geschmiedet. Alles schien auf bestem Weg. Bis wenige Woche vor der Volksabstimmung zur Erschliessung des Gebiets die St.Galler SVP mit der Nein-Parole dafür sorgte, dass der Wind drehte. Und wie! Plötzlich waren die Grünflächen das vorherrschende Thema. Die Kritiker bekamen Oberhand – und siegten an der Urne. Regierungsräte in der Bredouille. War es das mit dem Wiler Leuchtturm?


Zu Besuch beim Cupsieger-Goalie

Daniel Good, stv. Leiter Ressort Sport

Daniel Good.

Daniel Good.

Bild: Ralph Ribi

Ein Cupfinal erfordert spezielle Massnahmen, insbesondere wenn der FC St.Gallen mitspielt. So war es mehr als eine Pflicht, den einzigen Goalie, der je mit den St.Gallern den Cup gewonnen hatte, zu kontaktieren. Es wurde freilich zur Kür. Es sprudelte nur so raus aus Jean-Paul Biaggi, Jahrgang 1945, als wir über das Endspiel von 1969 sprachen. Er erinnerte sich noch an alles. Auf Französisch. Dann schickte der Senior per Whatsapp auch noch ein Foto, das ihn mit Pelé zeigt. Das natürlich ebenfalls mit Freude publiziert wurde.