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Christian Rudolf Frauenknecht hat jahrzehntelang Bildmaterial und weitere Unterlagen zu sämtlichen Bahntriebfahrzeugen gesammelt. Diese Sammlung war sein Anstoss für das nun eröffnete grösste private Archiv der Schweizer Eisenbahnen namens Lokgesicht.ch im Dienstgebäude der SBB am Bahnhof Etzwilen.
«Alles hat mit einem Schulvortrag über die Schweizer Krokodil-Eisenbahn begonnen, der statt einer halben Stunde ganze zwei Stunden gedauert hat», sagt Christian Rudolf Frauenknecht. Um ihn herum stapeln sich bis zur Decke Ordner in den Rollgestellen. Er steht im ehemaligen Dienstgebäude der SBB am Etzwiler Bahnhof, das seit vergangenem Samstag offizieller Standort von Lokgesicht.ch ist.
In den Räumlichkeiten finden die insgesamt fast 3000 Ordner Platz, in denen Frauenknecht fein säuberlich Bildmaterial und Unterlagen von sämtlichen Triebfahrzeugen der Schweizer Bahnen sortiert hat.
Im Jahr 1873 erlebte das Dorf Etzwilen wegen seiner Eigenschaft als Kreuzungsbahnhof Bedeutung als internationaler Bahnknotenpunkt. Zu dieser Blütezeit des Bahnhofs Etzwilen entstand das Dienstgebäude der SBB. Bis zum 1. Januar 1999 gab es am Bahnhof Etzwilen einen bedienten Schalter. Das Dienstgebäude beherbergte jahrelang SBB-Personal, zudem befand sich in seinem ersten Geschoss das Stellwerk des Bahnhofs. Seit der Schalter geschlossen und die Bahnanlage ferngesteuert sind, verlor es an Bedeutung und stand lange leer, bis es renoviert und nun Standort von Lokgesicht.ch geworden ist. (vst)
Zunächst hat der 54-jährige Gachnanger Postkarten, Kalender, Fotos oder auch Bücher über Züge in der Schweiz gesammelt. Zudem hat er begonnen, als kreativer Ausgleich zu seinem Job als Lokführer selbst zu fotografieren, und hat über die Jahre bereits mehr als eine Million Bilder von Zügen gemacht. Viele seiner Bilder sind auch in Fachzeitschriften und den zwei von ihm verfassten Büchern erschienen.
«Während der Vorbereitung zu besagtem Schulvortrag hat mich das Sammelfieber gepackt und mich über die Jahre nicht mehr losgelassen. Als die Sammlung stetig wuchs und der Platz zu Hause immer knapper wurde, habe ich alles in eine Garage gezügelt.»
Aber auch dort sei es immer enger geworden, sagt Frauenknecht, der seit 38 Jahren bei der SBB tätig ist. Deshalb hat er begonnen, nach passenden Räumlichkeiten Ausschau zu halten. Dabei fiel ihm das leer stehende Dienstgebäude der SBB beim Bahnhof Etzwilen ins Auge. «Als junger Lokführer übernachtete ich dort manchmal, wenn ich Dienst in dieser Gegend hatte», erzählt Frauenknecht. So kam es, dass er bei den SBB anfragte und auf offene Türen stiess.
Nach der langen Zeit, in der das Dienstgebäude der SBB am Etzwiler Bahnhof nicht mehr genutzt worden war, gab es einiges zu tun, um dieses wieder herzurichten. Fast ein Jahr hat Frauenknecht gebraucht, um dieses praktisch eigenhändig zu renovieren.
«Im Februar 2022 habe ich es übernommen, und heute ist der grosse Tag der Eröffnung.»
In seiner Stimme schwingt grosse Freude mit. Niemals hätte er gedacht, dass seine Sammlung so viele Leute interessieren würde. Im ehemaligen Dienstgebäude sind nebst zwei Archivräumen auch eine Bahnbibliothek, ein Sitzungsraum mit einer grossen Leinwand, einem Negativ- und Diaraum sowie einem kleinen Shop entstanden. «Lokgesicht.ch ist nun ein zugängliches Archiv für Bild und Ton zum Thema Eisenbahn», sagt Frauenknecht stolz.
Sehr vertieft studieren am Tag der Eröffnung Peter Baumgartner und Roland Haldi sowie zwei weitere Kollegen einige Ordner. Sie sind alle Thurbo-Lokführer und erinnern sich an das ursprüngliche Design ihrer Züge. «Die ersten nannten wir Blumenchistli, weil die so eckig waren. Die waren super, aber etwas anspruchsvoll beim Fahren», sagt Baumgartner.
«Und in diesem Ordner ist der Thurbo noch im originalen Design abgebildet mit dem verschwommenen Logo und den Thurbogonen, das sind die farbigen Punkte oberhalb der Fenster.»
Die vier Lokführer ziehen einen Ordner nach dem anderen heraus und schwelgen in Erinnerungen. «Es ist der Wahnsinn, dass es für jeden einzelnen Zug einen eigenen Ordner gibt. Mein Favorit ist ja der Radio-Top-Thurbo in seiner knallgelben Farbe», sagt Haldi.
Ganze vier Stunden Zug gefahren ist Alfred Kammermann aus Reconvilier, um bei der Eröffnung dabei zu sein. Er war ebenfalls Lokführer, mittlerweile aber im Ruhestand. Er hat gleich noch einige Schätze für Lokgesicht.ch mitgebracht – sehr alte Bücher der Schweizerischen Nordostbahn, der Vorgängerin der SBB.
«Genau das ist die Idee.»
Das sagt Frauenknecht. Lokgesicht.ch soll ein stetig wachsendes Archiv sein. «Mein Anspruch ist, dass jedes Triebfahrzeug der Schweizer Bahnen eine Art Erinnerungsalbum vom Bau bis zum Abbruch erhält. Dadurch gebe ich jedem Fahrzeug ein Gesicht. Deshalb habe ich mich auch für den Namen Lokgesicht.ch entschieden.» Das Archiv ist derzeit auf Anfrage geöffnet. «Zudem ist geplant, dass regelmässig Events wie Filmabende stattfinden werden», sagt Frauenknecht.