Selbstfindung
Weshalb sich ein Bischofszeller Berufsmusiker eine Woche lang freiwillig einsperren lässt – und dabei auf technische Geräte und sogar Musik verzichtet

Andreas Hausammann aus Bischofszell will eine Woche wie die heilige Wiborada in einer nachgebauten Zelle verbringen. Er erzählt, wie seine Entscheidung mit Religion und Gefängnisinsassen in den USA zusammenhängt.

Tiziano Grimm
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In dieser nachgebauten Zelle wird Andreas Hausammann eine Woche verbringen.

In dieser nachgebauten Zelle wird Andreas Hausammann eine Woche verbringen.

Bild: PD

Seit mehreren Jahren führt Andreas Hausammann mehrere enge Brieffreundschaften mit Gefängnisinsassen in den USA und anderen Ländern. Sie seien in einer Situation, in die man sich als freier Mensch nicht hineinversetzen kann. Er sagt: «Ich hoffe, nach meiner Zeit in der Zelle meine Brieffreunde etwas besser verstehen zu können.» Hauptsächlich geht es dem Bischofszeller Musiker jedoch darum, einen tieferen Einblick in das Leben der Wiborada zu erhalten.

Wiborada ist die vergessene Heilige von St.Gallen. Und das, obwohl es ihr Verdienst ist, dass die alten Schriften aus der Stiftsbibliothek erhalten blieben. Sie lebte freiwillig in einer eingemauerten Zelle neben der Kirche St.Mangen, bis sie bei einem Überfall von Plünderern ums Leben kam. Ein Team rund um Theologin Hildegard Aeppli möchte ihre Geschichte am Leben erhalten und sie den Menschen aus der Region näherbringen. Während fünf Wochen lassen sich dieses Jahr neben Andreas Hausammann vier weitere Männer jeweils für eine Woche in einer nachgebauten Zelle einschliessen, um Wiboradas Alltag nachzuleben.

In der Zelle soll es nicht langweilig werden

Für eine Woche wird sich Hausammann in der Zelle einschliessen lassen.

Für eine Woche wird sich Hausammann in der Zelle einschliessen lassen.

Bild: PD

Andreas Hausammann ist ein viel beschäftigter Mann. Als Leiter der evangelischen Kirchenmusik in St.Gallen sei sein Alltag oft hektisch und komplex. Durch seine Arbeit in der Kirche hat er von dem Projekt rund um Wiborada erfahren. Die Figur fasziniert ihn seither. Er sagt:

«Sie wählte eine wilde Form des geistlichen Lebens. Es war eine radikale Abwendung der Welt und eine Zuwendung zu Gott.»

Doch trotz der Isolation ist er der Überzeugung, dass es ihm in der Zelle auf keinen Fall langweilig werde, im Gegenteil, denn jeder Tag ist präzise durchstrukturiert. Durch ein kleines Guckloch in der Zelle ist es ihm gestattet, den abendlichen Gottesdienst mitzuverfolgen. Sein Tagesablauf soll ähnlich gestaltet werden wie der von Wiborada. Während ihrer freiwilligen Gefangenschaft verbrachte sie viel Zeit mit beten, Bibel lesen und handwerklicher Arbeit. Jeweils eine Stunde am Morgen und Abend sprach sie an ihrem Fenster mit Besuchern. Zu ihrer Zeit galt die Heilige als Ansprechpartnerin für Leute, die jemanden zum Reden oder einen guten Rat brauchten.

Nach dem Aufstehen wird Hausammann wie Wiborada zuerst ein Brot gebracht, welches diese zu ihrer Zeit jeweils segnete und an Besucherinnen und Besucher verteilte. Täglich stehen zwei Stunden zur Verfügung, in denen der Musiker mit Besuchern sprechen wird. Sie sind neben einem Seelsorger sein einziger Zugang zur Aussenwelt. Er sagt: «Ich hoffe auf viele spannende Gespräche und freue mich auf die Aufgabe, Leuten zu helfen oder einfach für sie da zu sein und zuzuhören.»

Er will seine innere Ruhe finden

Während der restlichen Zeit kann Hausammann Tagebuch schreiben, in seiner Zelle Sport treiben, Bibeltexte studieren, meditieren oder sich Handwerklich betätigen, was in seinem Fall das Malen sein wird. Er erhofft sich während dieser Zeit der Selbstfindung eine spirituelle Erfahrung und eine Begegnung mit Gott.

Als professioneller Musiker ist Hausammann in seinem Alltag stark auf Technologien angewiesen. Während seiner Zeit in der Zelle wird er auf jegliche technischen Hilfsmittel verzichten. Er sagt: «Ich benutze mein Handy in meinem Beruf relativ oft und ich denke, es wird guttun, eine Woche ohne Technologie und Musik zu leben.» Zudem wolle er in der entschleunigenden Woche seine innere Ruhe wieder finden.

Hinweis

Vom 19. bis zum 26. Mai kann man Andreas Hausammann bei der Wiborada-Ausstellung in der Kirche St.Mangen jeweils von 12.30 bis 13.30 Uhr und 17.30 bis 18.30 Uhr am Fenster seiner Zelle antreffen.