Startseite
Ostschweiz
Arbon, Kreuzlingen, Weinfelden
Konstanzer sprechen Seealemannisch. Vor den Weltkriegen waren die Dialekte diesseits und jenseits der Grenze noch praktisch dieselben. Doch der Muttersprache der Alteingesessenen droht das Vergessen. Sie wird je länger, je mehr vom Hochdeutschen verdrängt.
«Wo ist denn mein Schweizer Freund», fragt Kurt Köberlin, als er zu der kleinen Gruppe unter dem Regenschirm vor dem Gasthaus Wallgut tritt. Die Begrüssung ist herzlich, Berührungsangst ist ein Fremdwort für echte Konstanzer. Mit den Nachbarn von ennet der Grenze gibt es sie sowieso nicht. Direkt und unkompliziert in der Art ist man hier. Im Café Gitterle, so wird das Traditionslokal in der Altstadt im Volksmund genannt, weil es genau gegenüber des Gefängnisses steht, kennt man sich. «De Kurtle isch no it do», hatte die Wirtin denn auch unaufgefordert vermeldet, als der Journalist zehn Minuten zu früh ankommt.
In der Gaststube ist es gemütlich. Am Stammtisch sitzen drei Männer beim Frühschoppen. Weinfässer zieren eine Wand. Kurt Köberlin freut sich über das Interesse über die lokale Mundart. 40 Jahre war der Ur-Konstanzer im Aussendienst tätig. 60 Jahre ist er schon an der Fasnacht aktiv und hat sich dabei auch einen Status als Lokalprominenz erworben.
Seit drei Jahren ist Köberlin pensioniert. Die verfügbare Zeit nutzt er, um Raritäten zum Thema Fasnacht und Konstanz zusammenzutragen. «So manchen Schatz habe ich schon vor dem Wegwerfen gerettet», erzählt er. Wenn Bekannte einen Keller oder Estrich räumen und Dialekt-Gedichte oder -Texte finden, rufen sie ihn an. Mitgebracht hat er gleich einen kleinen Stapel an Unterlagen und Dokumenten.
Das Büchlein «Kleiner Seealemannischer Wortschatz gehoben auf Konstanzer Grund», wurde 1988 vom Konstanzer Verleger Ekkehard Faude herausgebracht. «Alle reden vom Dialekt, wir schwätzen ihn» steht als Titel über dem Vorwort. Die Sammlung umfasst unzählige Dialektwörter, beschreibt ihre Aussprache, ihre Bedeutung und wie häufig sie noch verwendet werden.
Doch von der Vorstellung «Konstanzerisch» sei klar abgrenzbar, muss man sich schnell wieder verabschieden. «Wenn altgediente Mundart-Spiritisten glauben, ihr Wissen um den seealemannischen Wortschatz im Allgemeinen und den Konstanzer Dialekt im Besondern sei umfassend und examensreif, dann erhalten sie durch dieses Buch unumgänglichen Nachhilfe-Unterricht.»
Selbige Feststellung machte auch schon Walter Fröhlich zehn Jahre zuvor in seinem Grundkurs-Heft «Alemannisch für Anfänger». Die Mundart wechsle von Dorf zu Dorf, von Stadtteil zu Stadtteil. «Alle jene aber, die jetzt (...) hinde noche muuled, alles besser gmacht hetted und finded, dass sell falsch isch und sell no ineghört, die haben jetzt Gelegenheit, sich auf den Hosenboden zu setzen und ein weiteres Büchlein zu schreiben.»
«Konstanzerisch» nennen den Dialekt die «Hiisige», Seealemannisch ist der wissenschaftlichere Ausdruck. Urchig, sympathisch, vielleicht könnte man ihn auch nuschelig nennen. «Hommer au nint vergesse?» bedeutet «Haben wir auch nichts vergessen?». Statt «meint» sagt der Konstanzer «mont», statt «soll ich» «seli», statt «hier» «dohanne», statt «nicht» «it».
Für Thurgauer Ohren tönt es vertraut, die Wurzeln des Gesprochenen sind dieselben. Alemannen sind die Menschen hüben wie drüben. Vor dem ersten Weltkrieg habe man in Kreuzlingen und Konstanz noch praktisch den gleichen Dialekt gesprochen, weiss Ekkehard Faude. Die Grenze sei damals sprachlich und auch sonst viel durchlässiger bis kaum wahrnehmbar gewesen. Wohl erst nach dem Bau des Grenzzauns und der Abschottung des Hitlers-Staats hätten sich die Thurgauer stärker abgegrenzt.
Dort, wo die alten Kontakte noch vorhanden sind und gepflegt werden, sei auch die Sprache noch ähnlich, berichtet Tobias Engelsing. Der Direktor der städtischen Museen nennt als Beispiel den Konstanzer Stadtteil Paradies, der ans Tägermoos anschliesst. Gewisse Wörter benützten die Menschen dort gleich wie in Tägerwilen. Auch bei den Ermatingern und den Eingesessenen auf der gegenüberliegenden Insel Reichenau hört man die alte Zusammengehörigkeit noch ohne Probleme.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen viele Flüchtlinge aus den Ostgebieten nach Konstanz. Aus den Schulen verschwand der Dialekt mehr und mehr. Auch die Universität brachte eher Leute, die Hochdeutsch sprachen, in die Stadt. Heute sind es die Mobilität und die Globalisierung, die lokale Ausdrucksweisen bedrängen, sie bei der Jugend bisweilen sogar hinterwäldlerisch erscheinen lassen, wie Engelsing berichtet.
Auch wenn Hochdeutsch im Alltag immer mehr die Oberhand gewinnt. Es gibt noch die Oasen des Dialekts. Eine ist die Fasnacht, wobei auch die Narrengesellschaften Mühe bekunden, gute Büttenredner- und -schreiber zu finden, wie etwa Kurt Köberlin einer ist.
«Ich hoffe, dass unser Dialekt nicht ausstirbt.»
Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, «Konstanzersich» vor dem Aussterben zu bewahren, den Dialekt zu pflegen und zu nähren. Aktuell versucht er ihn seiner Enkelin zu lehren. In ihrer Klasse sprächen von 34 Kindern nur noch eine Handvoll Dialekt. Narrensprüchlein, wie jenes vom «Vögelebeck» oder «Hoorig isch die Katz» bringt er ihr bei. Die Kleine trage diese dann am Kindermaskenball im Konzil vor und habe dabei grosse Freude. Und der Grossvater noch mehr.
Sprache generiert Identität und Heimat. Bis Frankfurt würde man die Konstanzer noch gut verstehen, schätzt Köberlin. In Westfalen oder in Norddeutschland werde es dann schon schwieriger. In Ludwigsburg bei Stuttgart konnten die Gäste einer Besenwirtschaft Kurt Köberlin noch direkt dem Bodensee zuordnen, wie er erzählt.
Schweizerdeutsch zu verstehen, zumindest solches aus der Ostschweiz, sei gar kein Problem. «Ich sage jedem, er soll Mundart sprechen mit mir», sagt Köberlin. «Mir verstond üs.» Die Gabe, geschliffenes Hochdeutsch zu sprechen, sei zudem weder allen Konstanzern noch allen Schweizern gegeben.
Sollte sich manchmal doch nicht so gut verstehen, liegt es vielleicht daran, dass ein Schweizer zuvor einen Konstanzer als «Schwoob» bezeichnet hat. Denn seit 1806 sind sie Badener und grenzen sich auch gerne entsprechend ab.
«Das ist schon bitter, wenn wir als Schwaben bezeichnet werden»
sagt Tobias Engelsing. «Das sind die Württemberger, die gelten als geizig.» Abschätzig sei auch die Bezeichnung Badenser. Dass Schweizer alle Deutschen als «Schwoobe» betiteln, habe seinen Ursprung im Schwabenkrieg mit den Eidgenossen von 1499, als man sich am Rhein als Kuhschweizer und Sauschwaben beschimpfte.