Interview
«Lieben Sie Ihre Kinder!»: Der Berliner Professor Bertram kommt nach Altnau

Klare Rollenmuster und Wertvorstellungen haben sich aufgelöst, sagt der Berliner Soziologe und Familienexperte Hans Bertram. Morgen referiert er über den Stress der Eltern.

Martina Eggenberger Lenz
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Der Berliner Soziologe, Professor Dr. Hans Bertram ist Verfasser mehrerer Bücher zu Familienthemen wie beispielsweise «Die überforderte Generation: Arbeit und Familie in der Wissensgesellschaft». (Bild: PD)

Der Berliner Soziologe, Professor Dr. Hans Bertram ist Verfasser mehrerer Bücher zu Familienthemen wie beispielsweise «Die überforderte Generation: Arbeit und Familie in der Wissensgesellschaft». (Bild: PD)

Der Berliner Professor Hans Bertram ist Morgen in Altnau auf Einladung der Schulen des Sekundarschulkreises Altnau zu Gast. Er spricht über «Elternsein heute – der Stress der Eltern und was sie dagegen tun können».

Sind heute wirklich so viele Eltern gestresst und was sind denn die Gründe dafür?

Eltern Haben heute mit drei Herausforderungen zu kämpfen. Gesellschaftlich wird erwartet, dass möglichst viele Kinder eine möglichst qualifizierte Ausbildung bekommen, weil die Nachfrage nach Humankapital in Wirtschaft und Gesellschaft gegenüber früheren Zeiten deutlich angestiegen ist. Das ist eine grosse Herausforderung für Eltern, wenn die Entwicklung der kindlichen Talente und Kompetenzen nicht diesen Erwartungen entspricht. Klare Rollenmuster und Wertvorstellungen haben sich aufgelöst, ohne das neue Muster entstanden sind. So kann man sogar in der Neuen Zürcher Zeitung über toxische Männlichkeit lesen, Märchenbücher, die von Prinzessinnen handeln, werden wegen falscher Rollenvorstellungen auf den Index gesetzt. Nur Antworten, worauf man beim Erziehungsprozess zu achten hat, gibt es nicht. Es gibt noch eine ganze Reihe von anderen Entwicklungen. Für die zunehmende Form elektronischer Beziehungen gibt es noch keine wirklichen Antworten. Daneben sind Eltern selbst auch gefordert, ihre eigenen Lebensperspektiven diesem gesellschaftlichen Wandlungsprozess anpassen, ohne zu wissen, ob diese neuen Lebensperspektiven auch ein erfülltes Leben gewährleisten.

Sie beobachten seit langem die Familien im Wandel. Meine Generation ist mit dem klassischen Modell die Mutter ist Hausfrau, der Vater arbeitet voll, grossgeworden. Heute gibt es fast keine Haushalte mehr, wo nicht beide Eltern irgendwie berufstätig sind. Inwiefern wirkt sich das auf die Kinder aus?

Wir wissen aus amerikanischen Untersuchungen, das erst bei Wochenarbeitszeiten jenseits von 50 Stunden die Zeit für Kinder sinkt. Eltern sparen an der eigenen Zeit, sie schlafen weniger als Nicht-Eltern, sie essen schneller und verwenden auch sonst weniger Zeit für sich. Kinder, das wissen wir aus Untersuchungen von Unicef, sind in der Regel sehr stolz, wenn beide Eltern berufstätig sind.

In Deutschland gehen die Kinder früher in den Kindergarten und Kitas sind viel verbreiteter als in der Schweiz. Sind deutsche Kinder deshalb unglücklicher?

Auch heute noch bleiben in Westdeutschland viele junge Mütter bis zum dritten Lebensjahr ihres Kindes zu Hause. Die gegenwärtige Nachfrage nach Betreuungseinrichtungen dokumentiert einen Wandel von privaten Betreuungsverhältnissen zu kommunalen Betreuungseinrichtungen. Die Zufriedenheit von Kindern hängt von der Qualität der Einrichtung ab, der Bereitschaft von Einrichtungen die besonderen Bedürfnisse einzelner Kinder zu berücksichtigen und ob und inwieweit Eltern und Erzieher harmonieren.

In einem Dorf wie Altnau gibt es viele Eltern, die das Optimum für ihre Kinder wollen. Die Kids werden materiell verwöhnt, sie dürfen x Hobbies ausüben und werden schulisch gefördert. Tut eine solche Aufmerksamkeit den Kindern wirklich gut?

Aufmerksamkeit tut Kindern immer gut. Das wusste schon Charles Dickens, der das sehr gut in seinem Buch Oliver Twist beschrieben hat. Es ist eher die Frage, wie Eltern sicherstellen, das Kinder auch unabhängig von ihren Eltern selbständig und eigenständig Herausforderungen bewältigen. Denn nur dann können sie als Erwachsene Ihre Talente und Fähigkeiten in die Gesellschaft sinnvoll einbringen.

Wenn Sie Eltern einen einzigen Ratschlag mit auf den Weg geben dürften: welcher wäre das?

Lieben sie ihre Kinder und glauben sie an Ihre Zukunft.

Öffentlicher Vortrag

Donnerstag, 25. April, 19.30 Uhr bis ca. 21.30 Uhr, Schwärzihalle, Schwärzistrasse 2, 8595 Altnau

Eintritt frei