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Die irakische Familie Fatah musste trotz Unterstützung der Bevölkerung ihr Zuhause in der Gemeinde verlassen.
Das Haus beim Bahnhof Güttingen steht leer. Im Flur liegt ein blauer Fussball. Pinkfarbene Mädchensandalen stehen verlassen im Schuhregal. Am Esstisch lehnt ein Kinderstuhl. Als hätte jemand mitten im Fluss des Lebens auf die Stopptaste gedrückt. Das Schicksal der Familie Fatah sorgt in der Gemeinde für Gesprächsstoff.
«So viel Engagement ohne Happy End.» Mit diesen Worten beschreibt Felicitas Högger die Situation. Sie hat die Flüchtlinge bis zuletzt begleitet. «Viele Leute im Dorf sind stark betroffen.»
Ein Blick zurück: 2015 ist die Familie aus dem Irak der Seegemeinde Güttingen als Asylanten mit Status N zugeteilt worden. Die Gemeinde empfing sie mit offenen Armen. Als Verantwortliche für das Ressort Soziales hat Vize-Gemeindepräsidentin Sandra Stadler die Geschicke der Eltern Karwan und Arazu mit ihren zwei Kindern von der ersten Stunde an begleitet. «Güttingen war grossartig. Alle wollten helfen.»
Es folgte eine Integration wie aus dem Lehrbuch. Die Jahre gingen ins Land. Aus Fremden wurden Freunde. Die Perspektive verschob sich. Sie wurde persönlich. Umso tiefer sitzt jetzt der Schock. Bereits im November 2018 erhielten die Fatahs von der Migrationsbehörde einen abschlägigen Asylbescheid. Sie legten mit ihrem Anwalt Rekurs ein. Ohne Erfolg. Mitte Juli flatterte der Brief mit dem definitiven «Nein» ins Haus. «Uns sind die Hände gebunden. Sämtliche Beschlüsse erfolgen auf Bundes- und Kantonsebene», betont Sandra Stadler.
Bei einem ökumenischen Gottesdienst Mitte August betete die Bevölkerung für ein Bleiberecht. Nach der Feier herrschte grosse Aufregung. «Gemeindemitglieder brachten Ideen wie Unterschriften-Sammlungen oder Sitzstreiks ein», erzählt die evangelische Pfarrerin Edina Olah. «Einige boten an, die Kosten für die Familie künftig privat mitzutragen.» Mehrere Hundert Franken wurden gesammelt.
Derweil nahm der Rechtsweg seinen Lauf. Am Mittwoch, 21. August, mussten die Fatahs das Dorf in Richtung Durchgangszentrum in Frauenfeld verlassen. Auf ihren Wunsch hin geschah dies in aller Stille. Sandra Stadler fuhr sie mit dem Auto nach Frauenfeld. Seither läuten die Telefone in der Gemeinde Sturm. Die Güttinger machen ihrem Frust Luft. Ihre Freunde, Nachbarn, Spielgefährten – sie sind fort.
Astrid Strohmeier weiss, wovon sie spricht. Die Leiterin Kompetenzzentrum soziale Dienste See begleitet Schicksale wie diese über viele Jahre hinweg. Sie setzt das Geschehen über den emotionalen Horizont hinweg in Relation. «Wir haben zahlreiche Gespräche mit der Familie geführt und sie während des gesamten Prozesses begleitet», betont sie. «Aber oft möchten die Betroffenen es bis zuletzt nicht wahrhaben.» Hinter jedem Fall stünden Monate der Abklärung und Abwägung.
Zirka 100 Asylgesuche warten in kleinen Gemeinden des Thurgaus auf ihren Entscheid. Die Koordination mit dem Kanton sei im aktuellen Fall nicht optimal verlaufen, sagt Astrid Strohmeier. «Aber das wird noch aufgearbeitet.» Es gehe nicht nur darum, Gesetze zu ändern. «Man kann nicht einfach einen Brief an den Bund schreiben und meinen, damit ändere sich die Rechtslage», sagt Astrid Strohmeier. «Es ist jedoch wichtig, Asylsuchenden klar zu machen, dass sie nach der Rückkehr in ihr eigenes Land nicht allein gelassen werden», betont Strohmeier und listet Instrumente wie die «Rückkehrhilfe» und betreute Hilfspakete vor Ort auf.
Derweil ist das weitere Schicksal der Familie Fatah unklar. Im Durchgangsheim in Frauenfeld sind sie nicht mehr. «Wir haben offiziell keine Kenntnis über ihren Aufenthaltsort.»