Senioren am Steuer
Aus Rache als fahrunfähig gemeldet: Thurgauer Verkehrsmedizinerin erzählt aus ihrem Arbeitsalltag

Rund 260 Fälle in Sachen Fahreignung klärt die Thurgauer Verkehrsmedizinerin Carolin Dengler Voss jährlich ab. Dabei geht es auch um Fahreignungsabklärungen im Zusammenhang mit neurologischen und altersbedingten Einschränkungen. Einblicke in ihre Tätigkeit.

Christof Lampart
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Carolin Dengler Voss, Thurgauer Verkehrsmedizinerin.

Carolin Dengler Voss, Thurgauer Verkehrsmedizinerin.

Bild: Christof Lampart

Ihre Dienste nehmen die wenigsten freiwillig in Anspruch – und doch kommt der Arbeit von Carolin Dengler Voss, die im Hafencenter in Kreuzlingen arbeitet, zunehmend Bedeutung zu. Zwar entfallen von den 260 Gutachten noch die Mehrheit, rund 160, auf Beurteilungen, bei denen Suchtverhalten und Psyche eine dominante Rolle spielen. Doch 100 weitere Gutachten sammeln sich in der Kategorie somatische Fälle, Schlaganfälle, Herzkrankheiten oder eben Senioren mit kognitiven Defiziten an. Über Letztere sprach die ärztliche Leiterin der Verkehrsmedizin Thurgau, Carolin Dengler Voss, an der Jahresversammlung des Thurgauer Berufsverbands Logopädinnen und Logopäden in Weinfelden.

Keine Meldepflicht, nur ein Melderecht

Carolin Dengler Voss erklärte, dass es bezüglich Personen, die im Verdacht stehen, sich nicht mehr selbstständig korrekt im motorisierten Verkehr bewegen zu können, keine Meldepflicht gebe, sondern nur ein Melderecht. Wenn also Hausärzte, Freunde oder Bekannte bemerken, dass bei Herrn X oder Frau Y vielleicht etwas nicht mehr so sein könnte, wie es ein sollte, dann müssen sie dies nicht dem Strassenverkehrsamt melden, können es aber zu jeder Zeit tun, ohne den/die Betroffene(n) darüber zu informieren. Allerdings gebe es keine Garantie für die «Whistleblower», dass die Gemeldeten nicht erfahren, wer hinter der Meldung steckt, besteht doch das Recht auf Akteneinsicht. Dies aus gutem Grund:

«Wir hatten auch schon den Fall, dass sich jemand an seinem ehemaligen Lebenspartner rächen wollte – und ihn deshalb bei uns meldete.»

Lange Belastung mit ungewissem Ausgang

Zu Carolin Dengler Voss kommen jedoch in der Regel nur jene Fälle, die selbst einzuschätzen sich ein Hausarzt nicht mehr traut. «Wir haben zum Beispiel sehr wenig Schlaganfallpatienten zur Beurteilung. Denn die schweren Fälle kommen in der Regel erst gar nicht mehr zu uns und die leichten kann ein Hausarzt von sich aus beurteilen.» Oder mit anderen Worten: viele, die den Weg ins Hafencenter finden, sind fallmässig in einer Grauzone angesiedelt.

Was jedoch gewiss ist: das Gutachten ist nicht nur aufwendig und kostet bis zu 1800 Franken, sondern es stellt für die Untersuchten oft auch eine psychische Belastung dar. Dies vor allem dann, wenn das Amt von sich aus auch eine vorsorgliche Aberkennung der Fahrerlaubnis für die Zeit der Untersuchung ausgesprochen hat. Dengler Voss hält zwar jedem das Recht auf eine verkehrsmedizinische Untersuchung zugute, verweist aber darauf, dass bei zumindest sehr zweifelhaften Fällen aus ihrer Sicht ein Verzicht auf eine Untersuchung besser wäre, «denn in der Regel ist das ein über zwei, drei Monate laufender Prozess, dessen Ausgang völlig ungewiss ist».

Co-Präsidium bestätigt, Pauschalen erhöht

An der Jahresversammlung des Berufsverbands Logopädinnen und Logopäden wurde der gesamte Vorstand rund um die Co-Präsidentinnen Barbara Ruppanner und Fabienne Diener einstimmig wiedergewählt. Ebenso oppositionslos wurde die Erhöhung der Entschädigungspauschalen für den Vorstand verabschiedet. (art)

Kognitive Tests zur Abklärung der Fahrtauglichkeit

Ein zentrales Element, neben den üblichen Laboruntersuchungen, bilden bei Senioren ab dem 75. Altersjahr, welche ihre Fahreignung abklären lassen müssen, auch die Kurztests zur Überprüfung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Während der sogenannte Mini-Mental-Test auch von Hausärzten angewandt wird, sieht dies beim Uhren-Test und dem anspruchsvollen Trail-Making-Test ganz anders aus. «Da zeigt es sich dann, dass viele überfordert sind, die zuvor noch bei den einfacheren Tests im Rahmen abgeschnitten haben.»