Wann ist man ein so «wirtschaftsfreundliches» Mitglied des Thurgauer Gewerbeverbandes, damit man eine Wahlempfehlung des TGV bei den National- und Ständeratswahlen verdient? Offenbar kann man dies als Parteimitglied von GLP oder Grünen kaum erreichen. Diese Kritik will der Gewerbeverband aber nicht auf sich sitzen lassen.
Der Thurgauer Gewerbeverband (TGV) hat sich mit seinen Empfehlungen zu den nationalen Wahlen im Herbst in die Nesseln gesetzt. Ausserhalb der FDP, SVP, Mitte und EDU erhielt niemand eine Wahlempfehlung. Das sorgt für Ärger. «Schweinerei des Jahres», twitterte GLP-Kantonsrat Ueli Fisch. Der Textilunternehmer Fisch ist Mitglied des Gewerbeverbands Frauenfeld. GLP-Kantonsrat Stefan Leuthold war es. Er engagierte sich im Vorstand des Frauenfelder Gewerbeverbands und hat aufgrund der ausbleibenden Wahlempfehlung postwendend seinen Austritt erklärt. Keine Wahlempfehlung erhielten auch die beiden Unternehmer und Gewerbeverbandsmitglieder Kurt Egger und Peter Dransfeld (beide Grüne).
Mit einer Medienmitteilung versucht sich der Gewerbeverband nun zu erklären und Schaden abzuwenden, insbesondere von TGV-Präsident und FDP-Nationalratskandidat Hansjörg Brunner. «Ausschlaggebend für den Zuspruch der Wahlempfehlung des Thurgauer Gewerbeverbandes ist die Wirtschaftsfreundlichkeit der Kandidierenden aus Sicht der Mitgliederbasis», heisst es darin. Listenverbindungen oder parteipolitisches Kalkül hätten im Auswahlverfahren keine Rolle gespielt.
Für Kandidatinnen und Kandidaten aller Parteien der National- und Ständeratswahlen im Oktober 2023 habe die Möglichkeit bestanden, die Wahlunterstützung des Thurgauer Gewerbeverbandes zu beantragen. Die Präsidentenkonferenz als zuständiges Organ habe dann in einer geheimen Abstimmung die Wahlunterstützung von 15 Kandidierenden beschlossen. «Die Präsidentenkonferenz repräsentiert die Mitgliederbasis des Thurgauer Gewerbeverbandes», verdeutlicht der TGV. Die Versammlung der Sektionsvorsitzenden bestehe aus Unternehmerinnen und Unternehmer. Sie seien mehrheitlich weder parteipolitisch orientiert noch hätten mögliche Listenverbindungen in irgendeiner Form bei der Entscheidungsfindung eine Rolle gespielt.
«Bei der Beschlussfassung der Wahlempfehlungen stand einzig und allein die Wirtschaftsfreundlichkeit der Kandidatinnen und Kandidaten aus der Perspektive der Gewerblerinnen und Gewerbler im Vordergrund», erklärt der TGV. «Bei der Präsentation der Gesuchstellenden wurde ebenfalls kein Einfluss auf die Stimmberechtigten genommen, um etwa die persönlichen Wahlchancen von Verbandsfunktionären zu erhöhen. Dies wäre mit dem Demokratieverständnis des Verbandes nicht vereinbar.»
Welche Kriterien bei den einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten bei der Stimmabgabe eine Rolle gespielt haben, könne aufgrund der geheimen Abstimmung nicht eruiert werden. «Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die politische Positionierung einzelner Kandidierenden bei der Mitgliederbasis des Wirtschaftsverbandes als nicht gewerbefreundlich wahrgenommen wird.» Offenbar weiche in dieser Hinsicht die Selbstwahrnehmung einzelner Politikerinnen und Politiker signifikant ab, was auch die veröffentlichte Listenverbindung von Grünen, GLP und SP unterstreiche.