Zum Bettag 2023
«Beten kann ich so, wie mir der Schnabel gewachsen ist»

Das Bundesamt für Statistik hat 2020 eine Grafik über die Häufigkeit des Betens in der Schweiz veröffentlicht. Es gibt grosse Unterschiede, je nachdem, welcher Religion oder Kirche man angehört. Katholiken beten etwas häufiger als Protestanten und evangelikale Christen und Christinnen noch etwas mehr.

Cathrin Legler
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«Beten ist so vielfältig wie wir Menschen.»

«Beten ist so vielfältig wie wir Menschen.»

Bild: Archiv

Von der gesamten Wohnbevölkerung beten 20 Prozent täglich oder fast täglich. Noch mal knapp 20 Prozent beten einmal pro Woche oder mindestens einmal pro Monat. Oder anders gesagt: Zwei von fünf Bewohnerinnen und Bewohnern der Schweiz beten also mehr oder weniger regelmässig. Das sind erst mal nur die Zahlen.

Beten ist vielfältig

Cathrin Legler ist freischaffende Pfarrerin aus Kreuzlingen.

Cathrin Legler ist freischaffende Pfarrerin aus Kreuzlingen.

Bild: zvg

Am Sonntag begehen wir den Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag. Zeit für ein paar Gedanken über das Beten. Wie genau und wofür gebetet wird, sagt die Statistik des Bundesamtes nicht aus. Das wäre allerdings sehr interessant und eine weitere Umfrage wert. Beten ist so vielfältig wie wir Menschen. Beten kann man im Gottesdienst mit anderen zusammen, aber auch alleine für sich. Beten kann laut sein oder leise, ausgesprochen oder unhörbar. Man kann danken, bitten, wünschen, flehen, klagen. Martin Luther sagte es einmal so: «Beten heisst: Gott den Sack vor die Füsse werfen.» Ein bisschen derb, aber sehr aussagekräftig. Alles, was mich beschäftigt, was mein Leben momentan bestimmt, kann ich Gott vor die Füsse werfen. Ich darf alle Sorgen und Nöte, meine Freude über Gelungenes, Dankbarkeit für Geschafftes benennen.

Beten ist einfach

Dazu braucht es keine gewichtigen Worte oder ausgefeilte Formulierungen. Beten kann ich so, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Ein wohlformuliertes Gebet trägt in einem Gottesdienst zur Feierlichkeit bei, aber es muss nicht sein. Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, lebte im 16. Jahrhundert und beschreibt es so: «Mit Gott soll und kann der Mensch reden wie ein Freund mit einem Freund.» Mit Gott einfach so reden, wie ich kann und mag – wie mit einem Freund oder mit einer Freundin. Ich kann mit meinen eigenen Worten zu ihm sprechen, grad so, wie ich empfinde und was aus meinem Herzen kommt. Und ich muss dabei nichts beachten oder erfüllen.

Beten ist Verweilen

Es braucht zum Beten nicht mal Worte. Noch jemand aus dem Mittelalter, Teresa von Ávila, drückt es folgendermassen aus: «Beten ist nichts anderes als Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen.» Verweilen, einfach so Zeit verbringen und dabei nichts tun und auch nichts reden müssen. Ein hoher Anspruch und in unserer Zeit eine sehr schwierige Aufgabe. Anderes ist immer wichtiger und drängender. Dringend muss noch dies oder jenes erledigt werden.

Ist beten naiv?

Doch warum soll ich das tun? Ist das nicht naiv – dieses Beten? Vielleicht. Manchmal überfällt auch mich der Zweifel. Hört da jemand? Ist Gott da? Kann sich durch Beten etwas verändern? Alle, die beten, machen die Erfahrung, dass sich eben nichts verändert und dass alles beim Alten bleibt. Und doch bin ich überzeugt, dass sich etwas verändert: Beten verändert die Beterin. Beten verändert die Wahrnehmung einer Situation. Es ist Ausdruck davon, dass nicht immer alles alleine zu schaffen ist. Beten befreit mich davon, alles im Griff haben zu müssen. Ich kann auch mal nicht souverän sein, sondern bedürftig. Vielleicht bekommen so Verletzlichkeit, Traurigkeit und Unsicherheit etwas mehr Platz und ich werde etwas menschlicher.

Beten macht stark

Ich möchte hier gerne noch Dorothee Sölle zu Wort kommen lassen: «Beten heisst miteinander wünschen, die Ängste miteinander teilen und die Hoffnung.» Beten macht stark, gemeinsam stark, um auch die Probleme der Welt zu sehen und anzugehen. Wenn wir unsere Ängste teilen und benennen, verlieren sie den Schrecken. Wenn wir unsere Hoffnung teilen und benennen, ermutigt und befähigt dies dazu, aufzustehen und zu handeln, damit sich etwas verändert. Der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag könnte zum Tag des Wünschens werden. Wünschen wir uns eine Gesellschaft, in der alle ihren Platz und ihre Aufgaben haben. Und beten wir dafür.