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Wird Urs Martin die Politik positiv aufmischen? Eine Analyse zur Thurgauer Regierungsratswahl.
Der neue Thurgauer Regierungsrat Urs Martin ist ein Mann der knappen Wahlresultate. Schon an der SVP-Nominierungsversammlung im vergangenen November lieferte er sich mit seinem parteiinternen Konkurrenten Urs Schrepfer ein Fotofinish. Schliesslich konnte sich Martin mit 115 gegen 108 Stimmen hauchdünn durchsetzen.
Ganz so knapp wurde es an diesem Wahlsonntag nicht. Aber angesichts der viel grösseren Stimmenzahlen sind auch die wenigen Hundert Stimmen Vorsprung, die Urs Martin schliesslich vor Herausforderer Ueli Fisch von den Grünliberalen ins Ziel retten konnte, ein Hitchcock-Finale. Ganze 864 Stimmen fehlten zur Sensation. Und das wäre es ohne Zweifel gewesen, wenn sich der Regierungsratskandidat der mit Abstand mächtigsten Thurgauer Partei dem unermüdlichen Kämpfer einer Kleinpartei hätte beugen müssen.
Das sind die 130 Neugewählten im Thurgauer Grossen Rat:
So oder so: Diese Wahl wird in die Geschichtsbücher eingehen. Denn Ausmarchungen um Thurgauer Regierungssitze hatten in den letzten Jahrzehnten in der Regel so wenig mit Hitchcock zu tun wie ein Roman von Rosamunde Pilcher. Die drei neuen Kandidaten – Urs Martin, Ueli Fisch und die Grüne Karin Bétrisey – machten aus einer oft als Inthronisierung verlaufenden Regierungsratswahl eine echte Wahl. Mit allem, was dazu gehört. Dazu gehören muss.
Ihren Anteil beigesteuert hat aber auch die SVP selbst. Sie wählte mit Kandidat Urs Martin das Risiko. Und hat nun tatsächlich Nervenkitzel geerntet. (Ob das parteiinterne Drehbuch das tatsächlich so vorgesehen hat, sei einmal dahingestellt.) Aber die SVP-Delegierten mussten sich bewusst sein, dass ihr Kandidat ausserhalb der eigenen Partei kein Selbstläufer sein wird. So sehr Urs Martin innerhalb der SVP für die von der nationalen Partei geprägte Zukunft steht, für den Politikstil, wie ihn der SVP-Übervater einer ganzen Generation von Parteigängern eingeimpft hat, so schwer vermittelbar ist dieses Politikmodell im eher auf Ausgleich ausgelegten Thurgau. Und dieser steht, wie das Wahlergebnis vom Sonntag zeigt, auch bei den Wählerinnen und Wählern weiterhin hoch im Kurs. In die Thurgauer Regierung wird niemand um des Streites willen gewählt. Sondern um hartnäckig, aber konziliant und mit viel Fingerspitzengefühl den grössten gemeinsamen Nenner herauszudestillieren.
Jetzt muss auch Urs Martin zeigen, dass er das kann. Macht er dort weiter, wo er im Wahlkampf aufgehört hat, dann könnte der Thurgau noch viel Freude am jüngsten Transfer in die Kantonsregierung haben. Dann wird er einen jung-dynamischen Politiker erleben, welcher der oft etwas verschnarchten Thurgauer Politik nur guttun kann. Dann wird Martin den Kanton in positivem Sinne aufmischen. Er wird für Transparenz sorgen, wo im Regierungsgebäude bis anhin notorisch der Deckel drauf gehalten wird, und dabei auf seine unbestrittene Stärke setzen: Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation.
Gelingt Martin diese Selbstdomestizierung, die er im Wahlkampf so mustergültig vorgelebt hat, auf Dauer aber nicht, wird es in absehbarer Zeit mächtig krachen im Regierungsgebälk. Denn auf die brachiale Brillanz eines Einzelkämpfers, der jeden vor den Kopf stossen würde, der sich ihm in den Weg stellte, wäre dieses Kollegium überhaupt nicht vorbereitet. In diesem Fall könnte dann nur noch eines helfen – die nächsten Wahlen.