Coronavirus
Die Thurgauerin Lilli Stuhlmann weilt im Englandaufenthalt – in ihrem eigenen Zimmer

Die Studentinnen und Studenten der Pädagogischen Hochschule Thurgau müssen während ihrer Ausbildung einen Sprachaufenthalt absolvieren. Wegen Corona findet diese Ausbildungseinheit virtuell statt. Ein Besuch bei der 24-jährigen Lilli Stuhlmann in Kreuzlingen – Zeitverschiebung inklusive.

Sebastian Keller
Drucken
Studentin Lilli Stuhlmann nimmt am virtuellen Englischunterricht teil.

Studentin Lilli Stuhlmann nimmt am virtuellen Englischunterricht teil.

Bild: Andrea Stalder

Es nieselt in Kreuzlingen. Ein einsames Blatt kämpft im Wind einen ausweglosen Kampf. Einzig Regenschirme peppen das graue Strassenbild auf. Wahrhaft britisches Wetter. Und daher ganz passend für Lilli Stuhlmann. Die 24-jährige Studentin sitzt im Schneidersitz vor dem Laptop in ihrem Zimmer. Zwei Gitarren lehnen an der Wand. Auf dem Bildschirm präsentieren sich Felder mit Menschen – wie ein aufgedecktes Memory. «I share this website with you», sagt eine Frau mit britischem Akzent.

Lilli Stuhlmann und ihre Mitstudentinnen und Mitstudenten der Pädagogischen Hochschule Thurgau (PHTG) verbringen einen Sprachaufenthalt in England – wegen Corona nur virtuell. Die Lehrerin der künftigen Lehrpersonen sitzt in Liverpool, Heimatstadt der Beatles, des FC Liverpool und des FC Everton. Das Wetter dürfte am Fluss Mersey ähnlich sein.

Die Zeitverschiebung – ein Running Gag

«Wir bereiten uns gerade für einen Mock-Test vor», sagt Lilli Stuhlmann und klickt ihr Mikrofon auf stumm. Diese Probeprüfung bildet das Finale der ersten Tranche des virtuellen Sprachaufenthalts. Die Lehrerin auf dem Bildschirm erläutert, wann wer an der Reihe ist. «Your time or our time?», fragt eine Mitstudentin. Lilli Stuhlmann lacht. Wegen der Zeitverschiebung von einer Stunde gebe es ab und zu Klärungsbedarf. Ein Running Gag.

Die Mitstudentinnen und Mitstudenten kennt Lilli Stuhlmann bereits von der Hochschule.

Die Mitstudentinnen und Mitstudenten kennt Lilli Stuhlmann bereits von der Hochschule.

Bild: Andrea Stalder

Die Uhr – Schweizer Zeit – geht gegen 11.30 Uhr. «Cool, cool, cool», quittiert die Lehrerin in Liverpool die Tatsache, dass alle alles verstanden haben. «Have a nice break», wünscht sie. Die kleinen Bildchen auf Lilli Stuhlmanns Bildschirm verblassen. Sie steht auf und setzt sich auf ihr Bett.

Die Arbeit vor dem Bildschirm ist intensiv

Einen Sprachaufenthalt in dieser Form findet sie nicht gänzlich abwegig. «Die Lehrerin hat sich am Anfang viel Zeit genommen, um eine persönliche Verbindung herzustellen», sagt die 24-Jährige. Dennoch seien die Tage vor dem Bildschirm sehr intensiv. «Der Workload ist viel höher», sagt sie und meint die Arbeitsbelastung. Bei ihr mischt sich Englisch, Hochdeutsch und Schweizerdeutsch zu einem erfrischenden Cocktail der Internationalität.

Vieles gehe dennoch verloren, sagt die Studentin. Der soziale und kulturelle Austausch. Freundschaften auf Zeit, die gerne in London, Dublin oder Sydney entstehen. Doch nicht alle ausserschulischen Aktivitäten fallen ins Wasser. Stuhlmann sagt:

«Wir wurden sogar zu einer virtuellen Pub-Tour eingeladen.»

Dennoch ist sie froh, dass ihr Rucksack schon mit der Erfahrung eines längeren Auslandaufenthalts gefüllt ist. An der Universität Utrecht, Niederlanden, verbrachte sie ein Auslandsemester. «Das war die beste Zeit», schwärmt sie und man merkt, dass vor ihrem geistigen Auge ein Kurzfilm des Glücks abläuft. «Das war super.»

Die Lehrerin kommt aus Liverpool: Lilli Stuhlmann an ihrem Schreibtisch.

Die Lehrerin kommt aus Liverpool: Lilli Stuhlmann an ihrem Schreibtisch.

Bild: Andrea Stalder

Die 24-Jährige ist aktuell im 7. Semester an der PH in Kreuzlingen. Sie bildet sich zur Lehrerin der Sek 1 aus. Ihre künftigen Schülerinnen und Schüler sind zwischen 12 und 15 Jahren alt. Stuhlmanns Fächerkanon: Englisch, Deutsch, Musik und Bildnerisches Gestalten. Sie wird also dereinst – am liebsten real – vor ihrer Klasse stehen und die Schüler in Englisch unterrichten. Tests abnehmen oder die Jugendlichen mit den Worten «Have a nice break» in die Pause entlassen.

Nur die Lehrerin spricht nur Englisch

Ausser der Lehrerin sind alle Schüler des virtuellen Sprachaufenthalts deutscher Muttersprache. Lilli Stuhlmann sieht das nicht als Problem. «Wir sind alle sehr diszipliniert.» Auch wenn die Lehrerin die Klasse in virtuelle Gruppenräume schickt, werde meist Englisch gesprochen. «Ausser es läuft eine Katze vor die Kamera, dann tönt es Jöö!», erzählt die Studentin. Das deutsche Back-up – eine Art Verständigungsversicherung – sei praktisch. «Wir können einander helfen.»

«Der Workload ist hoch», sagt Lilli Stuhlmann. Viel Arbeit – auch im heimischen Zimmer.

«Der Workload ist hoch», sagt Lilli Stuhlmann. Viel Arbeit – auch im heimischen Zimmer.

Andrea Stalder

Dieser virtuelle Sprachaufenthalt gibt Stuhlmann – neben der Verbesserung ihres Englisch – auch Hinweise für ihren künftigen Schulalltag. «Etwa bezüglich Disziplin oder selbstständiges Lernen.» Doch wieso will sie Lehrerin werden? Lilli Stuhlmann überlegt, wickelt sich eine Strähne ihrer blonden Haare um den Zeigefinger und sagt:

«Ich will das Pflänzchen in jeder und jedem zum Wachsen bringen.»

Doch auch die Pflanzen in ihrem Privatgarten will sie hegen und pflegen. Die Gitarren, die zwischen Bett und Schreibtisch an der Wand lehnen, tönen es an: Lilli Stuhlmann macht Musik. «Hauptsächlich Indie-Pop.» Sie wirkt bei Kunstprojekten ihrer Mutter mit und arbeitet als Yogalehrerin. Letzteres erklärt ihr unverkrampftes Sitzen im Schneidersitz.

Der erste Teil des Sprachaufenthalts endet bald. Es folgen noch zwei Wochen in diesem Jahr. «Vorerst bin ich gespannt auf die virtuelle Pub-Tour und den Mock-Test», sagt Lilli Stuhlmann und lächelt. Vor ihrem Zimmerfenster in Kreuzlingen nieselt es immer noch. Die Kulisse passt.

Sprachaufenthalt ist an der PHTG Pflicht

Vorwiegend Fernunterricht seit November

(seb.) Wegen der Coronapandemie bildet die Pädagogische Hochschule Thurgau (PHTG) die angehenden Lehrerinnen und Lehrer seit Anfang November vorwiegend im Fernunterricht aus. Auch ein obligatorischer Sprachaufenthalt gehört zur Ausbildung, wie die PHTG in einer Mitteilung schreibt. Damit dieser Ausbildungsteil erfüllt werden kann, hat sie verschiedene Angebote geschaffen. Neu besteht die Möglichkeit, den Englisch-Sprachaufenthalt vom eigenen Schreibtisch aus zu absolvieren. Verantwortlich für die Durchführung ist das Norwich Institute for Language Education (NILE) in Grossbritannien. Dabei handelt es sich laut Mitteilung um eines der grössten Lehrerbildungsinstitute für die englische Sprache in Europa. Für den digitalen Sprachaufenthalt haben sich laut Mitteilung 30 PHTG-Studierende angemeldet.