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Ostschweiz
Frauenfeld & Hinterthurgau
Einigkeit war gestern: Das Kantonsparlament hat sich wegen des Lockdowns endgültig zerstritten. Eine dringliche Interpellation wirbelte mächtig Staub auf.
Das Parlament als Spiegel der Gesellschaft: Selten trat das so ungeschminkt zutage wie an diesem Mittwochmorgen, an dem der Grosse Rat die dringliche Interpellation «Stop Lockdown − für eine verhältnismässige und evidenzbasierte Coronapolitik» diskutierte. Jeder sechste Parlamentarier meldete zu sich Wort, insgesamt 21, und trug zu dem bei, was Regierungsrat Urs Martin als «maximal divergierende Meinungen» bilanzierte. Wie in der Gesellschaft auch. Trotzdem sei die Diskussion wichtig gewesen, auch «um einmal Dampf abzulassen». Martin:
«Man hätte ein Heizkraftwerk an diese Halle anschliessen können.»
Schon mit der Dringlicherklärung des Vorstosses der vier SVP-Kantonsräte Pascal Schmid (Weinfelden), Mathias Tschanen (Müllheim), Hermann Lei (Frauenfeld) und Oliver Martin (Leimbach) tat sich der Grosse Rat schwer. Und als sich der Reihe nach die Sprecher von SP, FDP und CVP/EVP gegen die unmittelbare Diskussion ausgesprochen hatten, lag sogar ein Nein in der Luft. «Wir haben es alle satt», meinte etwa Christine Steiger (SP, Steckborn) mit Blick auf den Lockdown. Doch: «Was ist an dieser Interpellation dringlich?» Sie wirble nur Staub auf. Das normale Prozedere reiche völlig. Enthaltungen und wenig Geschlossenheit in einzelnen Fraktionen sorgten dann für einen klaren Entscheid − zugunsten von Dringlichkeit (70 Ja, 46 Nein).
Die anschliessende, immer wieder emotional geführte Diskussion zeigte es deutlich: Der grösste gemeinsame Nenner in der Coronapolitik des Kantons ist die Erkenntnis, das es keinen gemeinsamen Nenner mehr gibt.
Auf der einen Seite das SVP-Lager unterstützt von der EDU, das sich um die Interpellanten scharte. Man wolle, «jetzt, wo die Zahlen massiv gesunken sind, raus aus dem Lockdown», sagte Pascal Schmid. Das Coronavirus sei kein Killervirus. Und:
«Die Massnahmen dagegen sind zunehmend gefährlicher als das Virus selbst.»
Mathias Tschanen: «Wir wollen arbeiten.» Was schon seit Wochen passiere, sei ein staatliche geförderter Stellenabbau im Detailhandel. «Will das der Regierungsrat wirklich?» Angst regiere den Thurgau und die Schweiz, beklagte Peter Schenk (EDU, Zihlschlacht). «Wer sich einsperren will, soll das tun. Die anderen sollen leben.» Es brodle in der Bevölkerung, so Oliver Martin. «Wir vertreten den Teil der Bevölkerung, der genug hat von Corona.» Der Hype um das Virus spalte das Land. Auch Brigitta Engeli-Sager (GP, Kreuzlingen) wollte jenem Teil der Bevölkerung eine Stimme geben, der finde, der Lockdown müsse ein Ende haben. «Es ist an der Zeit, wieder alle Stimmen zu hören.»
Auf der vorsichtigen Seite positionierten sich die Vertreter der FDP. «Wir wollen eine Öffnung», sagte Martina Pfiffner Müller (Frauenfeld), «aber mit Fingerspitzengefühl»: wohlüberlegte Lockerungen, gekoppelt an sinnvolle Schutzkonzepte. «Gewisse Lockerungen sind möglich», befand auch Gallus Müller (Guntershausen) für die CVP/EVP-Fraktion. Nun sei beim Bund und Kanton eine strategische Planung gefragt.
Sie sei total hin- und hergerissen, bekannte SP-Kantonsrätin Marianne Sax (Frauenfeld). Zwischen der Geschäftsfrau, die unbedingt ihren Laden öffnen wolle und der Politikerin, «die froh ist, dass der Bundesrat die unpopulären Entscheide fällt». Ueli Fisch (GLP, Ottoberg) wandte sich gegen überstürzte Öffnungen, vielmehr sollte eine Teststrategie auf die Beine gestellt werden. Peter Dransfeld (GP, Ermatingen) warnte:
«Öffnen wir zu früh, dann ist die Freude nur von kurzer Dauer.»