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Der Thurgauer Bauernverband warnt vor dem völligen Verbot von Pestiziden; die regionalen Lebensmittel würden massiv teurer.
Die Gegner nennen sie die «extremen Agrarinitiativen». An diese Sprachregelung hielten sich fast alle Redner an der Medienorientierung am Donnerstagnachmittag in einer Kesswiler Apfelplantage. Der Verband Thurgauer Landwirtschaft eröffnete die Abstimmungskampagne gegen die Initiativen, die sich beide gegen den Einsatz von Pestiziden richten. Deren Ziel – sauberes Trinkwasser – kann man nicht in Frage stellen. Deshalb versucht der Bauernverband zu zeigen, dass die Initiativen über das Ziel hinaus schiessen.
Der Gastgeber, Emil Henauer, hat seinen Hof auf Bio umgestellt. Er klagte, dass er bei Annahme der Initiativen Mittel nicht mehr verwenden dürfte, die von Bio Suisse zugelassen sind. Er schütze damit junge Hochstammbäume. Er brauche sie auch, um die Alternanz zu brechen, gemeint ist damit der jährlich wechselnde Ertrag der Bäume – einmal viel, einmal wenig Früchte. Resistente Apfelsorten seien kaum absetzbar:
«Die Grossverteiler verstehen nur Gala.»
Er sei darauf angewiesen, Nährstoffe von einem andern Hof zu beziehen, sagte Daniel Vetterli, Co-Präsident des Verbands Thurgauer Landwirtschaft und Biobauer. Das werde nicht mehr zulässig sein. Die meisten Biobauern lehnen laut Vetterli die Trinkwasserinitiative ab.
Er aber sei auch gegen die Pestizidinitiative. Sie brächte die Produktion von Obst und Gemüse massiv unter Druck, und für die Zuckerfabrik Frauenfeld wäre es das Aus:
«Es ist unmöglich, so viele Rüben ohne Herbizide anzubauen, damit eine Fabrik betrieben werden kann.»
Sämtliche bürgerlichen Thurgauer National- und Ständeräte lehnen die Agrarinitiativen ab, wie Kampagnenleiterin Anna Kreis mitteilte. Das Nein-Komitee habe bereits 400 Mitglieder aus den verschiedensten Berufsgruppen.
Am 13. Juni entscheidet die Schweiz über zwei Agrarvorlagen. Die Trinkwasserinitiative fordert, dass nur noch Landwirte Direktzahlungen erhalten, die keine Pestizide einsetzen, ihre Tiere nicht prophylaktisch mit Antibiotika füttern und nicht auf Futtermittelimporte angewiesen sind. Laut der Pestizidinitiative wird der Einsatz synthetischer Pestiziden verboten und ebenso die Einfuhr von Lebensmitteln, die synthetische Pestizide enthalten oder mit ihrer Hilfe hergestellt worden sind.
Die Initiativen würden den Anstrengungen nicht gerecht, welche die Landwirtschaft bereits unternommen habe, sagte CVP-Nationalrat Christian Lohr. «Die Zeit, als bedenkenlos drauf losgespritzt wurde, ist längst vorbei.» Laut Lohr ist Gewässerschutz nicht nur eine Aufgabe der Landwirte.
Die Präsidentin des Thurgauer Landfrauenverbands, Regula Böhi, erwartet von der Landwirtschaft, dass sie den eingeschlagenen Weg weitergehe, wie sie sagte. Die nichtbäuerliche Bevölkerung sei der Landwirtschaft aber auch etwas schuldig:
«Statt abwertender Kommentare wäre Interesse und Wertschätzung oft zielführender.»
Der Konsument werde weiterhin das perfekte Rüebli suchen, sagte FDP-Regierungsrat Walter Schönholzer. Es gebe mehr Bioprodukte als der Markt aufnehme. Als Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements setze er sich für die 20'000 Arbeitsplätze in der Thurgauer Land- und Ernährungswirtschaft ein. Dürften nur noch Bioprodukte eingeführt werden, sei ein enormer Kontrollaufwand nötig: «Ersparen Sie uns diesen administrativen Irrsinn.»
Der Präsident des Thurgauer Gewerbeverbands, Hansjörg Brunner, befürchtet, die Initiativen förderten den Einkaufstourismus, weil die regionalen Produkte verteuert würden.
Es stimme, dass der Nationalrat die Bundesratsvorlage «Agrarpolitik 22+» sistiert habe, räumte SVP-Nationalrat Manuel Strupler ein. Umstritten sei aber nicht die Reduktion des Pestizidverbrauchs gewesen, sondern die massive Senkung des Selbstversorgungsgrads, der Bürokratieausbau und der Einkommensverlust.
Regierungsräte halten sich bei nationalen Abstimmungskämpfen üblicherweise vornehm zurück. Weshalb das nicht in jedem Fall zwingend ist, erklärt Walter Schönholzer unter Verweis auf ein Urteil des Bundesgerichts: «Es gilt der Grundsatz, dass eine Kantonsregierung eine Abstimmungsempfehlung zu einer eidgenössischen Abstimmungsvorlage abgeben darf, wenn der jeweilige Kanton namhaft betroffen ist.» Der Thurgauer Regierungsrat halte sich an diese Leitlinie und beurteile die kantonale Betroffenheit einzelfallweise. Bei den Agrarinitiativen sei sie klar gegeben. Fast 14 Prozent der Thurgauer Beschäftigten arbeiteten in der Land- und Ernährungswirtschaft. Im Thurgau zähle der Landwirtschaftssektor prozentual mehr als doppelt so viele Beschäftigte wie in der Gesamtschweiz. Für «diesen bedeutenden Wirtschaftssektor» gehe es um sehr viel.
Politiker, welche mit den Initiativen sympathisieren, reagieren zurückhaltend. «Grenzwertig», meint Ueli Fisch (GLP). Aber verboten sei es nicht, dass sich ein Regierungsrat zu nationalen Abstimmungen äussere. Die GLP Schweiz unterstützt die Trinkwasserinitiative; bei der Pestizidinitiative hat sie Stimmfreigabe beschlossen. SP und GP unterstützen beide Vorlagen. «Ungewöhnlich», sagt Marianne Sax (SP). «Ein Skandal ist es nicht, aber auch nicht wahnsinnig sensibel.» Regierungsräte hätten sich in den letzten Jahren bei Abstimmungen zurückgehalten, sagt Toni Kappeler (GP), «kein anderer Regierungsrat hat sich instrumentalisieren lassen».