Die Expo kommt wie gerufen

Die Ostschweizer Expo-Pläne sind weder hochtrabend noch rückwärtsgewandt, sondern angemessen, seriös und zeitgemäss. Redaktionelle Stellungnahme zur Abstimmung vom 5. Juni. Von Andri Rostetter

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Seit über zwei Jahrzehnten studiert die Ostschweiz an einer Landesausstellung herum. Seit März 2011 sind die Pläne konkret: Die Kantone St. Gallen, Thurgau und Appenzell Ausserrhoden unterzeichneten eine Absichtserklärung und starteten Vorabklärungen für die Durchführung einer Expo im Jahr 2027. Anfang 2015 sicherte der Bundesrat dem Projekt seine Unterstützung zu und legte den finanziellen Rahmen fest: Der Bundesanteil darf sich höchstens auf 50 Prozent der Gesamtkosten belaufen oder maximal eine Milliarde Franken. Im Gegenzug verlangte er eine Machbarkeitsstudie mit Bewerbungsdossier. Die Kantone budgetierten dafür 9,5 Millionen Franken. St. Gallen soll davon 5 Millionen übernehmen. Über diesen Kredit stimmt das Volk am 5. Juni ab.

Aus dem Fast-Debakel gelernt

Für die Planung eines Generationenprojekts mit Langzeitwirkung ist die Summe von 5 Millionen Franken überschaubar. Zum Vergleich: Die Vorarbeiten für das mittlerweile versenkte Klanghaus haben 3 Millionen Franken gekostet. Trotzdem haben die Expo-Gegner bislang kein besseres Argument gefunden als die Finanzen. Sie prophezeien Steuererhöhungen und hantieren mit roten Zahlen, die es nicht gibt – und bei seriöser Planung nie geben wird. Denn genau darum geht es am 5. Juni: Ein Ja schafft die Voraussetzungen für eine saubere Abklärung. Die Expo-Macher haben aus dem Fast-Debakel von 2002 gelernt, die Fehler von damals sollen sich nicht wiederholen.

Falsche Beweise

Für die Gegner ist trotzdem klar, dass es so weit kommen wird. Als «Beweis» gilt ihnen, dass heute wieder die gleichen Leute am Ruder sind wie schon 2002. Diese Kritik bezieht sich vor allem auf Martin Heller, künstlerischer Direktor der Expo.02 und nun einer der Schrittmacher der Expo 2027. Was die Kritiker verschweigen: Heller wurde damals erst 1999 ins Boot geholt, zusammen mit Nelly Wenger – als Reaktion auf die Wirren um die damalige Leitung unter Pipilotti Rist und Jacqueline Fendt. Unter Heller, Wenger und später noch Franz Steinegger ging es mit der Expo.02 steil bergauf, die Landesausstellung im Dreiseenland wurde zu einem Grosserfolg mit zehn Millionen Besuchern.

Ein weiteres Argument der Gegner: Wir brauchen keine Expo. Klar, kein Mensch braucht eine Landesausstellung. Das Leben besteht aber nicht nur aus dem Notwendigen. Nicht die Luft zum Atmen und das tägliche Brot machen das Leben lebenswert, sondern die kleinen und grossen Dinge, die über das Notwendige hinausgehen: die Abwechslung, die Überraschung, das Schöne, das Gute und – ja! – das Überflüssige. Man soll auch mal abheben dürfen, kurzfristig neben den Schuhen stehen, Dinge tun, von denen man sonst die Finger lässt. Eine Landesausstellung ist ein Ausnahmezustand, ein Ausbruch aus dem politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Courant normal, eine Frischzellenkur mit unsicherem Ausgang.

Mythen, Visionen, Blockaden

Doch es wäre ebenso falsch, eine Expo bloss als monströse Olma abzutun. Landesausstellungen zwingen zur Besinnung. Das Land muss sich mit sich selber beschäftigen, mit seinen Mythen, seinen Visionen, seinen Blockaden. Landesausstellungen provozieren eine Wechselwirkung zwischen der Expo-Region und dem Rest des Landes: Die Schweiz muss sich mit der Ostschweiz befassen, die Ostschweiz muss sich zusammenraufen und über ihre Identität(en) verständigen.

Eine Expo darf also gleichzeitig visionäres Volksfest, kantönligeistige Nabelschau und freundeidgenössische Gruppentherapie sein. Und sie darf auch etwas kosten. Denn so viel steht fest: Ohne Expo wird kein einziges Problem in diesem Land schneller gelöst – und für die Ostschweiz gilt möglicherweise sogar das Gegenteil. Die Region hat Impulse dringend nötig. Und sie kämpft schon lange mit einem gröberen Aufmerksamkeitsdefizit. Die Ignoranz in Bundesbern reicht mittlerweile so weit, dass die Ostschweiz der Grossregion Zürich zugerechnet wird. Höchste Zeit also, dass die Region sich bemerkbar macht. Eine Expo kommt da wie gerufen. Zeigen wir Mut. Sagen wir am 5. Juni Ja zum Planungskredit für die Expo 2027 – zu unserem eigenen Wohl.

andri.rostetter@tagblatt.ch