Vor 175 Jahren erschüttert ein kurzer Bürgerkrieg die Schweiz. Dass er so glimpflich verläuft, ist das Werk eines Mannes, dem unser Land viel verdankt: Guillaume Henri Dufour.
Es sind die dramatischsten Tage der modernen Schweiz. Über Jahrzehnte haben sich die Konflikte hochgeschaukelt, bis sie sich, im November 1847, mit dem Sonderbundskrieg in Gewalt entladen. In ihrer Mitte aber steht ein bescheidener Mann, der bis heute stilbildend wirkt für eine auf Ausgleich bedachte politische Kultur: Guillaume Henri Dufour.
Die in der Tagsatzung versammelten Gesandten der Kantone haben ihn auf Betreiben der Ostschweiz und Zürichs zum General bestimmt, obwohl er die politischen Ziele der liberal gesinnten Mehrheit gar nicht teilt. Dufour hat grosse Bedenken, er schwankt, fügt sich aber der Pflicht. Er ist ein Mann der Ordnung, und er sieht: Die staatliche Existenz der Schweiz ist bedroht.
Auch von seinem Auftreten her wirkt der Mann untypisch, den mancher Gegner vorschnell als «Schreibtischgeneral» belächelt. Der bereits Sechzigjährige gleiche «eher einem Pädagogen als einen Militär», beschreibt ihn ein deutscher Kriegsberichterstatter. Seine Divisionäre empfängt er gern zum Einzelgespräch, nicht zur kollektiven Befehlsausgabe, und in schlaflosen Nächten schreibt er liebevoll-sehnsüchtige Briefe nach Hause. Seine Uniform sei «die einfachste unter all den goldschimmernden Röcken der Stabsoffiziere, welche ihn umgeben», stellt der fremde Berichterstatter noch fest. Und: Dufour sehe
«ziemlich gebrechlich und noch um Jahre älter aus, als er wirklich ist».
Kein glänzender Sieger also ist es, der uns da im gerade besetzten Luzern entgegentritt nach jenem kurzen Bürgerkrieg, den man heute den Sonderbundskrieg nennt. Bei minimalen Verlusten auf beiden Seiten haben 100000 Soldaten der Tagsatzung in nur drei Wochen 80000 Soldaten jenes Sonderbunds besiegt, in dem sich die konservative Innerschweiz mit Zug, Wallis und Freiburg zusammengeschlossen hatte. Unmittelbarer Auslöser sind religionspolitische Streitfragen wie der Aargauer Klosterstreit und die Berufung der Jesuiten nach Luzern gewesen. Hinter ihnen jedoch verbergen sich tiefgreifende wirtschaftliche und politische Gegensätze.
1815 haben die Grossmächte im Wiener Kongress die Eidgenossenschaft in ihrem heutigen geografischen Umfang garantiert und ihr Neutralität verordnet. Im Innern ist sie ein loser Staatenbund, gebeutelt zuerst von einer Hungersnot, dann aber geprägt von den Vorboten jenes wirtschaftlichen Höhenflugs, zu dem 1848 eine neue Bundesverfassung, und später dann der Eisenbahnbau die Fundamente legen. «Innert weniger Jahrzehnte wird die Schweiz vom Entwicklungsland zur industriellen Lokomotive», sagt der Historiker Joseph Jung, der schon in seinem Buch «Das Laboratorium des Fortschritts» dem Aufstieg unseres Landes zur bedeutenden Wirtschaftsmacht nachgespürt hat.
Doch noch ist es nicht so weit. Während überall liberale Mittelschichten erstarken, hemmen mehr als 400 Binnenzölle die Entwicklung des Landes. Da und dort kommt es jedoch zum politischen Umsturz, bis eine Mehrheit der Kantone sich stark genug fühlt für das grosse Kräftemessen. Dass gerade Guillaume Henri Dufour an die Spitze ihrer Truppen tritt, wird Folgen haben. Ihnen ist jenes Buch gewidmet, das Joseph Jung herausgegeben hat, und das in diesen Tagen erscheint (siehe Box). «Die Schweiz verdankt Dufour viel», sagt Jung. «Er ist eine der grossen Integrationsfiguren der Schweiz – vielleicht sogar die grösste.»
Guillaume Henri Dufour war Ingenieur, Kartograf, Truppenführer, Politiker – und Familienmensch, wovon die vielen Briefe an Frau und Tochter zeugen. Dies alles findet sich in dem Buch wieder, das, reich illustriert, in diesen Tagen erscheint.
Am 3. November eröffnen die von Johann Ulrich von Salis-Soglio befehligten Truppen des Sonderbunds auf dem Gotthardpass das Feuer. Sie sollen die Tessiner Regierung stürzen und Nachschublinien für Verpflegung und Waffen ins österreichische Oberitalien öffnen. Der Sonderbund erhofft sich Hilfe aus dem Ausland, aber der Vorstoss bleibt bei Biasca stecken.
Dufour verfolgt seinen eigenen Plan. Er konzentriert sich auf die kritischen Punkte des Gegners, nimmt Freiburg ins Visier, das angesichts der Übermacht kapituliert, wendet sich dann gegen Zug, das rasch aufgibt, und stösst aus mehreren Richtungen gegen Luzern vor. Zuvor verkündet er seinen Truppen, was ihm am allerwichtigsten ist: «Soldaten! Ihr müsst aus diesem Kampf nicht nur siegreich, sondern auch vorwurfsfrei hervorgehen; man muss von Euch sagen können: Sie haben tapfer gekämpft, wo es nottat, aber sie haben sich menschlich und grossmütig gezeigt.»
Indem er ein Blutbad vermeidet, lenkt Dufour den Bürgerkrieg «in eine Richtung, die den jungen Bundesstaat überhaupt erst möglich macht», sagt Joseph Jung. «Sein Geheimnis besteht darin, dass er das Geschehen nicht auf Zerstörung und Vernichtung ausrichtet, sondern darauf, physische und emotionale Verletzungen möglichst gering zu halten und den Krieg möglichst rasch zu beenden.» Erst dies habe den Bundesstaat «auch für die Verlierer zugänglich gemacht».
Auf seine Rolle vorbereitet haben den 1787 geborenen Dufour jene Erfahrungen, die er zuerst in Paris, dann in seiner Heimatstadt Genf sammelt. In Paris studiert der junge Mann aus einer liberalen Uhrmacher-Familie an der «Ecole Polytechnique», einer Kaderschmiede für die technische Elite. Alles Militärische fasziniert ihn, er dient unter Napoleon, den er zeitlebens bewundert. Doch zur zweiten grossen Leidenschaft wird die Technik. Als Kantonsingenieur entwirft er für Genf Brücken und plant Quaianlagen und Quartiere und interessiert sich sehr für den Eisenbahnbau.
Der Eidgenossenschaft dient er, indem er in jahrzehntelanger Arbeit die erste topographische Karte der Schweiz erarbeitet. Auch deshalb kennt er als Truppenführer das Terrain wie kein Zweiter. Und parallel dazu trägt er als Offiziers-Ausbildner und Militärschriftsteller viel dazu bei, dass eine von aussen immer wieder bedrohte Schweiz eine leistungsfähigere Armee bekommt. Deren bis 1848 kantonal geprägten Verbänden er auch ein einigendes Erkennungszeichen gibt: das Schweizer Kreuz.