Klassik
Die französische Cellistin Camille Thomas steht im Zentrum des 2. Abokonzerts der Argovia Philharmonic

Sie wirkt wie eine Fee mit einer innigen Liebe zu ihrem Instrument. Die 33-jährige Camille Thomas im Porträt bei einer Probe für das kommende Konzert.

Rosmarie Mehlin
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Die Cellistin Camille Thomas probt mit dem Orchester Argovia Philharmonic in der Reithalle Aarau.

Die Cellistin Camille Thomas probt mit dem Orchester Argovia Philharmonic in der Reithalle Aarau.

Bild: Chris Iseli

Camille Thomas ist bis über beide Ohren verliebt: «Ich habe vergeblich versucht, mich davor zu schützen, weil ich wusste, dass es nicht für immer ist. Ach, ich liebe es so sehr und versuche jeden Tag, gut genug zu sein für dieses Instrument.» In ihrem Arm hält sie nicht irgendein Cello, sondern eine Stradivari «Feuermann» aus dem Jahr 1730. «Im Herbst 2019 hatte ich es von der Nippon Music Foundation für ein Jahr als Leihgabe bekommen. Wegen Corona wurde die Dauer zunächst um sechs Monate verlängert und jetzt darf ich es bis März 2023 spielen.»

Wenn Thomas spielt, wird sie nicht nur Eins mit dem Instrument und der Musik. Ebenso steckt die Mimik der Musikerin voller Emotionen – Träume, Sehnsüchte, Entschlossenheit, Zuneigung. Sie lassen Schumanns Cello-Konzert in a-Moll auch visuell zu einem besonders intensiven, packenden Erlebnis werden. Als Solistin des 2. Abokonzertes der Argovia Philharmonic «Befreite Seele» spielt die 33-Jährige zum ersten Mal mit diesem Orchester. «Dass Rune Bergmann ein genialer Dirigent ist, wusste ich aber bereits. Mitten im Lockdown letztes Jahr hatte ich unter seiner Leitung mit der Tschechischen Philharmonie vor einem leeren Saal in Polen einen Livestream aufgenommen. Wir haben uns sofort verstanden, denn wir teilen die Liebe zum Leben und die Freude am Musizieren.»

Sie lebt über den Dächern von Paris

Als Kind belgischer Eltern in Paris geboren und aufgewachsen, lebt sie auf dem Montmartre. Manchmal steigt sie von ihrer Wohnung aufs Dach des Hauses: «Ich liebe die Höhe, den Blick in die Weite, das Gefühl, Perspektiven zu haben.» Wie war sie, als Vierjährige, zum Cello gekommen? «In meiner Familie hat Musik schon immer eine grosse Rolle gespielt. Meine Mutter ist Pianistin, meine ältere Schwester Justine spielte schon sehr früh Geige, so wollte auch ich ein Instrument lernen.» Mama habe für sie eine Reihe von CDs aufgelegt:

Als ich ein Cello hörte, war das für mich eine Sternstunde und mein Entschluss stand sofort felsenfest.

Als Teenager habe sie neben dem Celloüben stundenlang Platten von Maria Callas gehört «und gedacht, wie kann man nur so etwas Schönes machen».

Nach dem Studium in Paris hatte es Thomas nach Berlin gezogen: «Ich habe bewusst das Risiko gesucht. Als 18-Jährige wollte ich meinen Weg und meine musikalische Identität weg von der gewohnten Umgebung finden.» Für eine Hochschule im ehemaligen Osten der Stadt entschied sie sich, weil dort auch russische Lehrer unterrichteten. «Nicht nur in der Musik, auch in der Literatur und Malerei haben mich immer schon russische Meister besonders inspiriert. Natürlich war Rostropowitsch mein grosses Vorbild.» 2013 veröffentlichte Camille Thomas zusammen mit der Walliser Pianistin Beatrice Berrut bei einem wenig bekannten Label die CD «A Century of Russian Colours». Vier Jahre später hatte sie einen Exklusivvertrag mit der Deutschen Grammophon in der Tasche. «Mitarbeiter des Labels hatten mich in der Fernsehsendung ‹Stars von morgen› von Startenor Rolando Villazón und später noch in einem Konzert in Berlin gehört.»

Ihre Stradivari bekommt immer auch ein Flugticket

Ihr Debütalbum «Voice of Hope» kam 2017 heraus und stellt lyrische Werke für Cello und Orchester aus der französischen Romantik vor. Als der namhafte chinesische Pianist Lang Lang dieses Jahr bei der Deutschen Grammophon eine neue CD aufnahm, wollte er unbedingt auch eine Einspielung mit Camille Thomas darauf haben. «Ich denke, ich darf nicht verraten, was ich spiele», sagt sie. Wetten, dass sie hinter der Maske verschmitzt lächelt – allein ihre Augen sprechen Bände. Verschmitzt antwortet sie auch auf die Frage, wie die Stradivari sie auf ihren Konzertreisen im Flugzeug begleitet. «Ich muss zwei Tickets kaufen, sie hat den Platz neben mir, bekommt aber nichts zu Essen und Trinken.»

So wie sich Camille Thomas mit Inbrunst zu ihrer grossen Liebe bekennt, so bestimmt outet sie sich als Romantikerin. Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel, strahlt sie doch schwärmerische Leichtigkeit und authentische Tiefe aus. Die Kraft, die sie aus der Musik schöpft, der Fleiss und die harte Arbeit, die dahinterstecken, verschwinden hinter dem Zauber dieser grossartigen Künstlerin.

«Befreite Seele»: 2. Abo-Konzert der Argovia Philharmonic: Heute, 19.30 Uhr, in Aarau; morgen, 19.30, in Baden; Sonntag, 17 Uhr, in Aarau.